Politik & Welt

„Antisemitismus ist eine reale Gefahr“

Seit dem 7. Oktober haben antisemitische, aber auch antimuslimische Übergriffe stark zugenommen. Fragen an Sarah Teufel von der Beratungsstelle Response der Diakonie Frankfurt und Offenbach.

Demonstration gegen Antisemitismus und Hass auf Jüdinnen und Juden, organisiert vom Römerbergbündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und Jugendring zusammen mit der Stadt Frankfurt. | Foto: Rolf Oeser
Demonstration gegen Antisemitismus und Hass auf Jüdinnen und Juden, organisiert vom Römerbergbündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und Jugendring zusammen mit der Stadt Frankfurt. | Foto: Rolf Oeser

Frau Teufel, wie sieht eine Beratungssituation bei Response aus?

Betroffene, Angehörige, Unter-stützer:innen und Zeug:innen von rechten, rassistischen und antisemitischen Vorfällen und Angriffen können telefonisch, per Mail oder über die Meldestelle hessenschauthin.de Kontakt zu uns aufnehmen. Bei Bedarf beraten wir telefonisch, per E-Mail oder per Video-Chat. Vorzugsweise finden Beratungen aber vor Ort in unseren Räumlichkeiten in Frankfurt und in Kassel statt. Wir kommen auch zu einem gewünschten Ort, der für betroffene Personen leicht erreichbar und sicher ist. Hier arbeiten wir auch mit anderen Organisationen zusammen, deren Räume wir nutzen können.

Mit welchen konkreten Anfragen werden Sie konfrontiert?

Die Anfragen sind sehr unterschiedlich. Wir beraten dann, wenn Menschen eine gewaltvolle Erfahrung machen, auch, wenn diese unterhalb der Schwelle juristischer Straf- und Verfolgbarkeit liegt. Die Beratung umfasst das gesamte Spektrum rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, darunter zum Beispiel auch Polizeigewalt, Beleidigung und Bedrohung, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Volksverhetzung innerhalb der Nachbarschaft oder an der Schule, aber auch queer- und transfeindliche Gewalttaten und Anfeindungen.

Gibt es auch Grenzen der Beratung?

Wir achten darauf, dass die Anfragen zu unserer Zuständigkeit passen. Diskriminierungsfälle im Sinne des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes verweisen wir an die Antidiskriminierungsberatung. Wir bieten keine allgemeine Opferhilfe an, sondern sind spezialisiert auf Gewaltvorfälle in den Bereichen rechte Gewalt, Rassismus und Antisemitismus. Auch eine juristische Rechtsberatung fällt nicht in unser Angebot.

In welchen Sprachen kann beraten werden?

Es ist jederzeit möglich, Dolmetscher:innen zu den Beratungen hinzuzuziehen. Das gibt uns die Möglichkeit, viele Sprachen abzudecken. Zum Beispiel auch Farsi, Arabisch oder Ukrainisch.

Antisemitismus ist vielfältig in seiner Ausprägung. Können Sie aktuelle Besonderheiten im Zusammenhang mit den Terrorangriffen der radikal-islamischen Hamas auf israelische Zivilist:innen, feststellen?

Die Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung (OFEK e.V.) hat seit dem Terrorangriff der Hamas einen massiven Anstieg von Vorfällen antisemitischer Gewalt und entsprechender Beratungsanfragen verzeichnet. Das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich absolut verschlechtert. Diese Entwicklung belegt auch die Recherche- und Informationsstelle für Antisemitismus (RIAS e.V.). Uns erreichen immer mehr Meldungen, dass Menschen hier in Hessen angegriffen werden und Unterstützung brauchen. Wichtig ist, dass Antisemitismus seit jeher ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und eine reale Gefahr darstellt.

Gibt es auch einen Anstieg von antimuslimischen Anfeindungen?

Tatsächlich steigt antimuslimischer Rassismus ebenfalls an. Aktuell geführte Debatten, die Antisemitismus gegen antimuslimischen Rassismus ausspielen, sind Teil des Gesamtproblems und führen nicht zu einer Lösung. Das formuliert die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (CLAIM) ganz klar. Genau wie antisemitische nehmen auch antimuslimische Hasskommentare auf Social-Media-Plattformen zu.

Erst jüngst wurde berichtet, das Menschen of Color im deutschen Gesundheitssystem strukturell benachteiligt werden. Werden Sie auch mit Problemen dieser Art konfrontiert?

Damit haben wir regelmäßig zu tun. Ratsuchende erleben auch im Alltag immer wieder Rassismus und Antisemitismus: im Gesundheitswesen, bei Behörden, beim Einkaufen, am Arbeitsplatz, auf öffentlichen Plätzen. Wiederholte Erfahrungen der Betroffenen spiegeln sich in einem zunehmenden Misstrauen gegenüber Institutionen wie der Polizei oder anderen Behörden wider. Zu diesem Ergebnis kommt zum Beispiel auch der Rassimusmonitor 2023. Fachsprachlich nennt man das eine sekundäre Viktimisierung. Gemeint ist, dass Opfer erneut Opfer werden, weil sie nicht ernst genommen werden mit ihren Gewalterfahrungen. Ihnen wird nicht geglaubt, sie werden als Täter statt als Opfer behandelt, sie erfahren erneut Rassismus und Diskriminierung und sie erhalten nicht die Unterstützung, die ihnen zusteht.

Kontakt: Beratungsstelle Response, Telefon 069 348770530 (mittwochs, 15-17.30 Uhr, freitags 13-15.30 Uhr), kontakt@response-hessen.de oder über www.hessenschauthin.de.


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Autorin

Angela Wolf 117 Artikel

Angela Wolf ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Sie wurde 1978 in Aschaffenburg geboren. Heute lebt sie in Frankfurt am Main, wo sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychoanalyse studierte.

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