Kunst & Kultur

Das Vermächtnis von Oma Luise

Susanna Kallenberg, Pfarrerin für interreligiösen Dialog der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach, hat einen Roman geschrieben. In "Der Hochzeitskelch" geht es um die Gräuel des Nationalsozialismus und die Geschichte jüdischen Lebens in Frankfurt.

Susanna Kallenberg bei der Lesung im Metropol. | Foto: Rolf Oeser
Susanna Kallenberg bei der Lesung im Metropol. | Foto: Rolf Oeser

Ihre Schränke und Kisten hielt Oma Luise stets unter Verschluss. Gegen Umbau- oder Renovierungsarbeiten sperrte sie sich vehement. Nun ist die Herrscherin des Hauses gestorben und die Entrümplung der Räume angesagt. Im Schlafzimmer machen ihre Enkelkinder eine spektakuläre Entdeckung. Die Oma hatte unter ihrem Bett eine alte Holzkiste versteckt, in der sie einen goldenen Kelch mit Symbolen und hebräischen Schriftzeichen verbarg. Ein wertvolles Stück, das Enkel Andreas umgehend verkaufen möchte. Er führt das rheinhessische Weingut der Familie weiter und schlägt sich mit finanziellen Problemen herum. Seine Schwester Sabine will dagegen herausfinden, was es mit dem Kelch auf sich hat. Er könnte am Ende gar Raubkunst sein. Andreas stimmt schließlich wiederstrebend zu, dass Sabine den Kelch ihrem Nachbarn in Frankfurt zeigt. Der, ein renommierter Historiker, spürt in der Kiste noch ein Geheimfach mit einem Ring und einem Döschen auf und ist sich gewiss: Es handelt sich um einen jüdischen Hochzeitskelch, ein sehr altes und überaus seltenes Exemplar. Sabine und Nachbar Ludwig Fromme begeben sich auf eine Spurensuche, die sich als Begegnung mit unerwarteten Familiengeheimnissen erweist...

Mit ihrem Romandebüt „Der Hochzeitskelch“ legt Susanna Kallenberg, seit zwanzig Jahren als Pfarrerin im interreligiösen Dialog engagiert, eine fesselnde Geschichte vor, die es in sich hat. Zum einen ging es ihr darum, die weitreichenden Folgen der NS-Gräuel aufzuzeigen. Es werde „immer schwerer, Leute für das Thema zu interessieren – zumal es kaum mehr Zeitzeugen gibt“, sagte sie bei der der Buchvorstellung im Café Metropol. Daher habe sie die „fiktiven, aber an wahre Begebenheiten anknüpfenden Handlungsstränge“ als Krimi verpackt. Das Genre berühre emotional und erzeuge eine Spannung, der man sich schwer entziehen kann. Zum anderen wolle sie mit dem Buch „Menschen ermutigen, die eigenen Familienhintergründe zu erforschen“.

Den Anstoß für das Werk gab letztlich die Corona-Pandemie. Als ihr Mann in Schweden festsaß und sie wegen der Ausgangssperre alleine zuhause hockte, sei ihr die Idee zu dem „Zeitgeschichtskrimi“ gekommen. „Ich habe dann jeden Tag ein Kapitel verfasst. Schon als Kind habe ich sehr gern geschrieben und mir als Pfarrerin lange für Kindergottesdienste Geschichten ausgedacht.“ Die Orte der Handlung wie die facettenreichen Wendungen fußen im Kern auf eigenen Erfahrungen. „Der Hochzeitskelch“ spielt in Frankfurt und dem ländlichen Rheinhessen, wo sie früher als Pfarrerin tätig war. Dort hätten ihr „vor allem viele alte Frauen von Erlebnissen während der NS-Zeit und des Krieges erzählt.“

Ein reicher Fundus waren für Susanna Kallenberg zudem die Pfarrchroniken. „Aus ihnen erfährt man viele Dinge über die Vergangenheit.“ Im Buch verarbeitet sie denn auch etliche Auszüge, die Einblick in die Geschehnisse der 1930er und 1940er Jahre gewähren. Die Vorgänge seien natürlich fingiert, fußten aber auf realen Ereignissen. Dass etwa ein Pfarrer seinen jüdischen Dorfarzt-Freund vor den Nazis schützt, indem er ihn offiziell zum Protestanten macht, ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Auf den fast 700 Seiten hat Susanna Kallenberg die Rahmenhandlung mit einer Reihe von Nebenschauplätzen verwebt. So wird aufgedeckt, dass Opa Horst schwul gewesen ist oder Sabines Vermieterin – eine Jüdin der ersten Generation nach der Shoah – die Tochter einer in ihrem Haus wohnenden türkischen Familie unterstützt.

Historische Orte in Frankfurt und Rheinhessen spielen ebenfalls eine Rolle. „Der Hochzeitskelch“ wurde nicht ohne Grund im Café Metropol vorgestellt, denn an dem Ort stand einst die älteste Synagoge Frankfurts, die bei Pogromen im 13. Jahrhundert zerstört worden ist. Wieder errichtet, wurde sie ein Jahrhundert später erneut dem Erdboden gleich gemacht und dann nicht mehr aufgebaut. Die Vorsitzende der hiesigen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Petra Kunik, hob an dem Abend die Vielschichtigkeit des Buches hervor. „Es ist ein Roman gegen das Vergessen, der mich emotional sofort ergriffen hat.“ Wie ihr dürfte es allen Leser:innen des „Romans über Liebe, Entbehrung und gut gehütete Familiengeheimnisse“ ergehen. Packend geschrieben, zieht die Lektüre unweigerlich in Bann. Susanna Kallenberg führt mit ihrer „emphatischen Form der Erinnerungskultur“ auf faszinierende Weise ein bis in die Gegenwart reichendes Stück Zeitgeschichte vor Augen. Ob der Kelch am Ende in die Hände der wahren Besitzer gelangt, sei hier nicht verraten. Zum Ausgang nur soviel: Weil es ein Krimi ist, geschieht noch ein Mord und Oma Luise wird sich aus dem Grabe melden und für Überraschung sorgen.


Susanna Kallenberg, „Der Hochzeitskelch“, edition-tz, Juni 2023, ISBN: 978-3-96031-014-3, 19,95 Euro


Autorin

Doris Stickler 76 Artikel

Doris Stickler ist freie Journalistin in Frankfurt.

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