Leben & Alltag

Psychische Gewalt: Wenn Worte wie Schläge sind

Plötzlich ergab alles einen Sinn. Hanne Imme erkannte, was sich zwanzig Jahre lang in ihrer Ehe abgespielt hatte. Ein Zeitungsartikel öffnete ihr die Augen und ließ sie erkennen, dass ihr Mann ihr Gewalt antut. Zwar schlägt er sie nicht, aber er ist ständig aggressiv, „vergisst“ Vereinbarungen oder macht sich über sie lustig. Das ist in der Summe nicht mehr harmlos.

Wenn Respektlosigkeit und Missachtung die Beziehung dominieren, hilft nur der Notausgang. Foto: Vojtech Vlk / Fotolia.com
Wenn Respektlosigkeit und Missachtung die Beziehung dominieren, hilft nur der Notausgang. Foto: Vojtech Vlk / Fotolia.com

Jahrelang hatte Hanne Imme alles versucht, um ihre Ehe trotzdem „hinzukriegen“. Hatte Gespräche verlangt, erklärt, diskutiert, ihr Verhalten geändert – aber nichts half. Unerklärlicherweise wurde ihr Mann sogar gerade dann besonders aggressiv, wenn sie gut gelaunt war und versuchte, Harmonie herzustellen. Bald gab es ihr und den beiden Kindern gegenüber täglich Wutausbrüche, Abwertungen, kontrollierendes und übergriffiges Verhalten. Trotzdem hat Hanne Imme lange den Grund bei sich selbst gesucht und wollte die Einheit der Familie um jeden Preis erhalten. „Dabei gab es diese Einheit gar nicht“, weiß sie heute.

Psychische Gewalt ist schwerer zu fassen als körperliche – für die Betroffenen selbst, aber auch für die Umwelt. Worte hinterlassen keine sichtbaren Spuren. Und doch können sie genauso zerstörerisch sein wie Schläge oder Fußtritte. Zumal psychische Gewalt, ebenso wie Schläge, meistens nur dann ausgeübt wird, wenn das Paar allein ist. Und wer glaubt schon, dass dieser charmante, hilfsbereite, erfolgreiche Mensch so grausam und mit voller Absicht verletzend ist?

Dabei tritt psychische Misshandlung nicht nur in Form von Wutausbrüchen, Geschrei, Abwertung und Dauerkritik auf – diese Formen sind lediglich am einfachsten zu erkennen. Aber auch andauernde Respektlosigkeit, Unhöflichkeit, Herablassung oder Bevormundung gehören in diese Kategorie: Es geht darum, Kontrolle über die Partnerin oder den Partner zu erlangen und sich selbst aufzuwerten.

Damit sich solche Verhaltensmuster nicht ausbreiten, empfiehlt Brigitte Meckler vom Evangelischen Zentrum für Beratung und Therapie in Eschersheim, in einer Beziehung von Anfang an klarzustellen, was akzeptables Verhalten ist und was nicht. In ihrer Beratungsarbeit stellt sie allerdings fest, dass es gerade Frauen oft schwer fällt, in einer Liebesbeziehung dem Partner klare Grenzen zu setzen.

Eine repräsentative Studie über Gewalt gegen Frauen in Deutschland hat ergeben, dass viele Opfer psychische Gewalt als besonders schlimm empfinden. Manche beschreiben sie als eine Form von „Gehirnwäsche“, die sie von ihrem eigenen Empfinden entfremdet. Seelische Gewalt zerstört das Selbstbewusstsein, die Betroffenen haben das Gefühl, sie würden „verrückt“. Hinzu kommt, dass viele Formen subtiler Gewalt heute quasi gesellschaftsfähig sind: Wenn Erfolg und Durchsetzungskraft die obersten Werte darstellen, hält man Menschen, die andere bloßstellen, belügen oder unter Druck setzen, unter Umständen auch noch für clever. Solange Beschimpfungen und Beleidigungen als Kavaliersdelikte durchgehen, suchen vor allem Frauen eher die Schuld bei sich selbst. Allerdings können auch Männer Opfer von psychischer Gewalt sein.

In der Regel verleugnen die Opfer lange, dass sie misshandelt werden, oder sie entschuldigen den Täter sogar. „Ich hielt mich einfach für zu empfindlich“, beschreibt eine Teilnehmerin in einem Internet-Selbsthilfeforum ihre Erfahrungen. Freundinnen oder Freunde, aber auch Eltern oder andere Vertrauenspersonen wie die Pfarrerin oder der Nachbar können hier die Maßstäbe gerade rücken, indem sie sagen: Du bist nicht verrückt, die Zustände sind wirklich untragbar. Sich das einzugestehen ist auch deshalb schwer, weil dann unweigerlich die Beziehung selbst auf dem Spiel steht. Viele missbrauchende Partner sind Meister der Entschuldigung. Wer wollte ihnen nicht glauben, dass sie sich in Zukunft bessern? Muss, wer liebt, nicht immer wieder verständnisvoll sein? Allerdings: Wenn man dem Partner ständig von Neuem die Grundlagen von Respekt und Höflichkeit erklären muss, wenn er partout nicht verstehen will, dass sein Verhalten verletzend ist, und vor allem: Wenn sich daran nichts ändert – dann hilft nur der Notausgang.

Den Ausstieg aus einer solchen Beziehung schaffen viele nur mit therapeutischer Hilfe, weiß Brigitte Meckler. Sie beobachtet, dass die Opfer sich häufig trotz ihres Leidens vom Partner abhängig fühlen. „Wir versuchen daher erst mal, das Selbstwertgefühl aufzubauen.“ Denn am Ende gilt: Gewalt und Liebe passen nicht zueinander. Wo Gewalt herrscht, egal ob körperlich oder seelisch, gibt es keine Liebe. Deshalb ist da auch nichts zu retten.

Woran man verbale Gewalt erkennen kann

  • Verbale Misshandlung spielt sich selten in der Öffentlichkeit ab. Sie tritt häufig unerwartet auf und passiert, wenn man sich gerade glücklich, motiviert oder erfolgreich fühlt.
  • Der Misshandler sucht nie die Versöhnung oder macht sich Gedanken über Konflikte. Die Misshandlung leugnet er oder gibt anderen die Schuld daran. Zwischen den Attacken „funktioniert“ die Beziehung. Schuldbekenntnisse, Reue oder Selbstkritik sind fast immer taktisch und haben zum Ziel, dass das Opfer wieder Hoffnung schöpft und „weiter macht“. Es gibt keine echten Fortschritte und keine Veränderung in der Beziehung. Das Problem wird nicht gelöst.
  • Mögliche Arten verbaler Misshandlung sind: sich entziehen, die Kommunikation verweigern, „aus Prinzip“ widersprechen, „scherzen“, verharmlosen und herunterspielen, kleine Bemerkungen „nebenbei“, absichtlich (zu) leise sprechen, Beschuldigungen und Vorwürfe, drohen und beschimpfen, „vergessen“ von Vereinbarungen, befehlen, leugnen, herumbrüllen und ausrasten.
  • Typische Aussagen, die auf verbale Gewalt hindeuten: „Du hast keinen Humor“, „Du bist zu empfindlich“, „Stell dich nicht so an“, „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten“, „Du bist zu sehr bei deinen Gefühlen“, „Das bildest du dir bloß ein“, „Dann such dir doch jemanden, der besser zu dir passt“, „Ich kann sagen, was ich will“.
  • Buchtipps: Marie-France Hirigoyen: Die Masken der Niedertracht – Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann (dtv, 9,90 Euro), Heinz-Peter Röhr: Wege aus der Abhängigkeit – Destruktive Beziehungen überwinden (dtv 8,90 Euro), Patricia Evans: Worte, die wie Schläge sind. Verbale Misshandlung in Beziehungen (rororo, nur antiquarisch).
  • Internetseite zum Thema: www.re-empowerment.de.
  • Beratungstermine im Evangelischen Zentrum für Beratung und Therapie können unter Telefon 069-5302222 vereinbart werden.

Schlagwörter

Autorin

Sandra Hoffmann-Grötsch ist Journalistin in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.