Leben & Alltag

„Streber haben wir hier auch“: Im Lernbetrieb Frankfurt haben Jugendliche eine zweite Chance

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Manche Jugendliche schaffen ihren Hauptabschluss nicht oder finden keine Ausbildung, weil sie schwänzen, Drogen nehmen oder straffällig werden. Im Lernbetrieb Frankfurt haben viele von ihnen plötzlich Spaß am Lernen und Arbeiten. Von Carina Dobra.

Necef Erul, Maler und Lackierer im 2. Lehrjahr, holt sich von Malermeister Frank Kaiser ein paar Tipps. Im Lernbetrieb Frankfurt des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit bekommen junge Leute eine Ausbildung oder lernen verschiedene Arbeitsfelder k
Necef Erul, Maler und Lackierer im 2. Lehrjahr, holt sich von Malermeister Frank Kaiser ein paar Tipps. Im Lernbetrieb Frankfurt des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit bekommen junge Leute eine Ausbildung oder lernen verschiedene Arbeitsfelder k

Lautes Lachen und Gequassel hallt aus dem Computerraum der Produktionsschule des Lernbetriebs Frankfurt in Eschersheim. „Einige haben morgen mündliche Prüfung in Deutsch und Mathe“, versucht Lehrer Volker Haack gegen die rund zehn Jugendlichen anzureden. Shirin und ihre Freundin Almedina sind überhaupt nicht aufgeregt. „Wir sind gut vorbereitet“, sind sich die Mädchen sicher und zwinkern ihrem Lehrer zu.

Die 18-jährige Shirin hat vor ihrer Zeit im Lernbetrieb eine gewöhnliche Berufsschule besucht. „Ich hab ständig geschwänzt, zuletzt bin ich gar nicht mehr hingegangen“, erzählt das Mädchen. Jetzt freue sie sich sogar auf die Schule. „Jeder kennt jeden“, erklärt sie, und die anderen nicken zustimmend. Die 16-jährige Almedina war früher auch kaum im Unterricht.

Ständig hatte sie Stress mit ihren Eltern. An der Produktionsschule helfen ihr die Lehrer und Sozialpädagoginnen, auch bei privaten Problemen. In ein paar Jahren möchte Almedina ihren Realabschluss machen, eventuell auch ihr Fachabitur.

Klingt nach einem vorbildlichen Plan, so einfach ist es dann aber häufig doch nicht, erzählt Schulleiterin Evelyn Rogowski. „Die Jugendlichen bringen alle ihr Päckchen mit“, erklärt die Sozialpädagogin. Viele hätten traumatische Erfahrungen, eine Jugendknast-Vergangenheit, andere seien chronisch krank oder in der Vergangenheit Opfer von Mobbing gewesen. Auch viele Ex-Schulschwänzer seien dabei. „Die sind auch hier oft unpünktlich“, klagt Rogowski.

Träger der 2007 gegründeten Schule ist der Evangelische Verein für Jugendsozialarbeit in Frankfurt. Der Lernbetrieb setzt sich aus der Schule sowie mehreren Produktionsbereichen wie Gastronomie, Handwerk und Schreinerei zusammen. Zweimal die Woche besuchen die Jugendlichen die Schule in der Zehnmorgenstraße, an den anderen Tagen arbeiten sie in den Produktionsstätten. Den Bereich können sie sich selbst aussuchen. Gefördert wird das Projekt unter anderem durch die Fraport-Stiftung.

Das Besondere an der Produktionsschule seien die kleinen, familiären Lerngruppen, erklärt Rogowski. Hausaufgaben gebe es nicht, alle lernen jeweils in ihrem eigenen Tempo. Zurzeit sind 85 Jugendliche an der Schule angemeldet. Davon sind 25 in der Ausbildung, 60 in der so genannten Berufsvorbereitung. Dabei durchlaufen sie zum Beispiel verschiedene Praktika. 25 von ihnen möchten ihren Hauptschulabschluss machen.

„Streber haben wir hier auch“, erzählt Rogowski lachend. Besonders die Flüchtlinge wären beim Deutschlernen extrem ehrgeizig. „Wenn die Lehrerin mal nicht da ist, sind die richtig sauer.“ Aber ganz grundsätzlich sei die Erfolgsquote hoch, sagt Rogowski. Bis auf zwei, drei im Jahr würden alle Schülerinnen und Schüler den Hauptschulabschluss schaffen.

Im Malerbetrieb im Keller der Schule unterschreibt gerade Necef den Bewertungsbogen seines Chefs. Zufrieden grinsend geht der 19-jährige zur Tür, als ihn Malermeister Franz Kaiser stoppt. „Den solltest du doch abheften, Mensch“, ruft er seinem Sprössling hinterher und legt das Papier zu den Unterlagen. „Sorry“, lacht Necef über seine Schusseligkeit hinweg. Seit zwei Jahren macht er hier eine Ausbildung zum Maler. Eine Festanstellung in einem Frankfurter Betrieb hat Necef schon sicher. „Der Vertrag liegt bei mir auf dem Tisch“, verkündet Kaiser stolz. Als Necef herkam, konnte er kaum Deutsch. „Herr Kaiser hat mir sogar Nachhilfeunterricht klargemacht“, sagt er und wirft seinem Leiter einen dankbaren Blick zu.

Einige Kilometer weiter im Stadtteil Preungesheim arbeiten vier Jugendliche in der Schreinerei des Lernbetriebs gerade an einem Kleiderschrank für eine Dachgeschosswohnung. Der Auftrag kommt von einer privaten Kundin. Oft würde der Betrieb aber auch größere Aufträge für Firmen annehmen, erklärt Schreinermeister Holger Spitzkopf, während er seinen Azubis an der Holzschneidemaschine über die Schultern schaut.

Younes und Fateh sind fast fertig mit ihrer Ausbildung zum Schreiner, Kirandeep und Yori sind noch  im ersten Lehrjahr. Die Atmosphäre empfinden alle als locker und entspannt. „Wir lernen aber auch viel“, sagt Younes fast verteidigend.

Ab und zu gebe es auch Probleme mit den Jugendlichen, erzählt Spitzkopf. „Mal ist die Motivation halt nicht so da oder die Jungs sind müde. Ganz normal halt.“ Lachend und quatschend zieht sich das Vierer-Gespann zum Umziehen in den Pausenraum zurück, bevor es wieder an die Arbeit geht. Das mit der zweiten Chance scheint zu funktionieren.

Internet: www.jugendsozialarbeit-evangelisch.de/lernbetrieb

Text von Carina Dobra. 


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