Kunst & Kultur

"Rubens zeigt Jesus zuallererst als Mensch"

Im Städel ist noch bis 21. Mai eine Sonderausstellung zu Peter Paul Rubens (1577-1640) mit dem Titel „Kraft der Verwandlung“ zu sehen. Der Frankfurter Museumspfarrer David Schnell (47) führt regelmäßig Gruppen durch die Ausstellungshäuser am Main. Im Interview erläutert er die religiösen Hintergründe des musealen Großereignisses. 

Peter Paul Rubens (1577-1640), "Ecce homo" (Ausschnitt), Vor 1612, Öl auf Holz 125,7 cm × 96 cm  |  © The State Hermitage Museum, Sankt Petersburg 2017
Peter Paul Rubens (1577-1640), "Ecce homo" (Ausschnitt), Vor 1612, Öl auf Holz 125,7 cm × 96 cm | © The State Hermitage Museum, Sankt Petersburg 2017

Für die Rubensausstellung im Frankfurter Städel Museum wird weithin mit Plakaten geworben, die eine Passionsdarstellung zeigen. Welche Rolle spielt die Passionszeit, das Leiden Christi, in der Ausstellung?

David Schnell: Das Motiv ist durchaus präsent, gleich am Eingang findet sich die Darstellung des „Ecce homo“ – Pilatus weist auf den gerade gefolterten und verspotteten Jesus mit der Dornenkrone und sagt die Worte: „Sehet, welch ein Mensch!“ –lateinisch „Ecce homo!“. Auch an anderer Stelle treffen die Betrachter und Betrachterinnen auf Passionsdarstellungen.

Die Schau stellt Bezüge zu Rubens Inspirationen aus der Antike her. Ganz ungewohnte Jesusbilder bekommen wir zu sehen.

Bei einigen Darstellungen griff er auf Vorbilder aus der Antike zurück, beim Ecce homo ist das Vorbild die Statue eines Kentauern, damals in der Villa Borghese in Rom, heute im Louvre in Paris zu sehen, beim Auferstandenen ist es der Torso vom Belvedere –heute Vatikanische Museen in Rom. Beide zeigen Oberkörper, die jeden Muskel zur Geltung bringen. Rubens betont die Sinnlichkeit, die Körperlichkeit, aber auch die Emotionalität. Mit Bezug darauf wird er von vielen der Gegenreformation zugeordnet.

Rubens' Familie war religiös durchaus bewegt…

Das war schon eine besondere Geschichte: Rubens Vater, ein calvinistischer Ratsherr aus Antwerpen, der vor dem katholischen Herzog von Alba floh. Dann der Prozess, in dem er Anna von Sachsen gegen ihren Mann Wilhelm von Oranien vertrat, der gegen die Spanier Krieg führte. Im Exil in Köln wechselte Rubens Vater zum Katholizismus und damit auch sein Sohn …es waren bewegte Zeiten, in die hinein Peter Paul Rubens im Exil in Siegen geboren wurde. Der Maler war jedoch alles andere als ein Fundamentalist, er wird immer als sehr verbindlich und diplomatisch beschrieben, so arbeitete er ja dann selber als Diplomat. In London, also keineswegs auf der „katholischen“ Seite, wurde er zum Ritter geschlagen.

Und das mit der Gegenreformation?

Etwas zugespitzt ausgedrückt kann man sagen, dass die so genannten Gegenreformatoren das Klischee propagierten, in dem zumindest damals auch ein Körnchen Wahrheit steckte, „den Protestanten entgeht etwas, wenn sie immer nur auf das Wort und dessen Verkündigung pochen und die Körperlichkeit und Emotion weglassen“. Als typisch für die Kunst der Gegenreformation wird angesehen, dass sie nah an die dargestellten Personen und deren Körper rangeht. Insofern könnte man geneigt sein, Rubens Werke diesem Begriff zuordnen, allerdings sind dies Stilmittel, die im Barock allgemein üblich waren und durchaus auch von protestantischen Künstlern angewandt wurden. Ich sehe Rubens nichts so sehr als Künstler der Gegenreformation. Wir dürfen nicht vergessen, er lebte fast durchweg in Kriegszeiten, mit seiner Malerei wollte er auch ein sinnliches und lebensbejahendes Gegenbild zu Krieg und Schrecken schaffen.

Wo würden Sie ihn denn einordnen?

Kaum einen anderen Künstler begleiten so viele Klischees wie Rubens  – „das ist doch der mit den großen Gemäldeschinken und den üppigen Frauen“  – ich finde gerade die Ausstellung im Städel trägt dazu bei, diese landläufige Meinung in Frage zu stellen. Rubens wollte den Menschen an sich zeigen und gerade damit den Menschen auch etwas mitteilen. Göttliche Wesen aus der griechischen Mythologie, auch biblische Figuren und nicht zuletzt Jesus selbst, werden auf Rubens Gemälden zu Menschen aus Fleisch und Blut. Beispielsweise zeigt auf den ersten Blick der „Ecce homo“ einen idealen Körper, dann erst erschließen sich die Wunden, die blauen Flecken, das Blut. Typisch Rubens ist dabei: Jesus wird zuerst und vor allem in seiner Menschlichkeit sichtbar, die ist viel präsenter als seine Göttlichkeit, auch wenn diese nicht verleugnet wird. Aber Fehlbarkeit, Leiden, Liebe Schmerz, Tod und Trauer, und auch Sinnlichkeit und körperliche Schönheit und Verletzlichkeit – alles Menschliche wird bei Rubens immer wieder dargestellt – auch und gerade bei Jesus.

Heutigen Vorstellungen des Gekreuzigten entspricht eher ein ausgemergelter Torso, woher rührt das?

Im 19. Jahrhundert, unter dem Einfluss der Nazarener, deren Bibelillustrationen weithin verbreitet waren, galten Rubens Darstellung des „Heiligen“ als oberflächlich und durchaus auch als unpassend und anstößig. Diese Urteile über Rubens‘ Kunst wirken bis heute nach, nicht zuletzt in kirchlichen Kreisen. Unsere Sehgewohnheiten sind mehr als uns dies vielleicht bewusst ist noch stark von bildlichen Darstellungen geprägt, die bis in die Gotik zurückreichen: Da haben wir Kruzifixe mit einem ausgemergelten, von Blut überströmten Körper Jesu. Hinzu kommt, dass im 20. Jahrhundert genau diese Betonung des auch körperlich leidenden Christus von vielen Künstlern angesichts der Schrecken in der Zeit des Zweiten Weltkrieges wieder aufgenommen wurde. Deshalb ist uns dies auch eher vertraut als der Anspruch, der in der Renaissance aufkam und im Barock weitergeführt wurde, dass auch im Leiden der Körper Jesu zugleich von überirdischer Schönheit gekennzeichnet sein soll, wie es auch Rubens im Sinn hatte.

Aktuell erleben wir zum einen, dass der durch Sport und Diäten optimierte Körper als großes Ziel proklamiert wird. Zugleich erleben wir auch, dass in den Museen, Bilder abgehängt werden, weil sie „zu viel Haut zeigen“. Wie passt die Rubensausstellung im Städel in dieses Klima?

Ich habe bei Führungen schon erlebt, das gefragt wurde, „kann Jesus so ein attraktiver Mann sein?“. Ich denke, Rubens ging es nicht um den perfekten und damit auch unrealistischen Körper, ich glaube, dass er ein sehr reflektierter Künstler war, der durchaus auch um den Voyeurismus wusste, den Bilder auslösen. Dieses Wissen spiegeln an einigen Stellen auch seine Bilder wider. Natürlich kann ich auch verstehen, dass Kritiker sagen, in vielen der Gemälde leitet Rubens die Äußerlichkeit. Aber im Zuge der aktuellen Debatten sehe ich ihn nicht als einen Künstler, der den Menschen darüber vergaß und „Haut zum Selbstzweck macht“.

Die Antike, aber auch andere Maler haben Rubens inspiriert, Tizian, Tintoretto, zeigt die Ausstellung im Städel.

Ja, da werden einige Vergleiche gezogen. Interessant finde ich aber auch die Positionierung gegenüber Rembrandt. Rubens‘ Prometheus haben die Ausstellungsmacher Rembrandts „Blendung des Simson“ gegenübergestellt. Rembrandt gilt als Prototyp des Protestantischen, Rubens demgegenüber als der Katholische – offensichtlich wird: So groß ist der Unterschied nicht. Im Übrigen kann heute zwischen „evangelischer“ und „katholischer“ Kunst kaum unterschieden werden. Auch wir sind sinnlicher geworden. Differenzen gibt es jedoch bei der Darstellung des Abendmahls, bei der Auslegung des Blutes Jesu.

Abgesehen davon, dass es sich um ein größeres „Kulturereignis“ handelt, warum empfehlen Sie den Besuch der Ausstellung „Rubens. Kraft der Verwandlung“?

Seine Darstellungen berühren auch heute noch. Bei dem Bild Grablegung ist der gestorbene Jesus zu sehen, man spürt förmlich: der Körper war nicht so leicht zu tragen. Im Mittelalter wurde der Leichnam oft eher förmlich schwebend dargestellt. Den Trauernden ist ihre Stimmung anzusehen, die Menschen können sich darin wiederfinden. Bei aller Fremdheit der Darstellung – es berührt. Man kann das auch mit Musik vergleichen: So wie uns bestimmte Klänge Bachs berühren, trifft auch Rubens bis heute die Emotionen. Durch seine Werke können Menschen bis heute angeregt werden, sich elementaren Themen des Lebens wie Tod, Leiden, Empathie, Liebe, Sexualität zu widmen und natürlich auch den religiösen Fragestellungen.


Autorin

Bettina Behler 297 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach

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