Gott & Glauben

„Ich habe mich schon immer von Gott angezogen gefühlt“

In einer Interviewreihe stellt „Evangelisches Frankfurt“ die Mitglieder des neu gegründeten Rates der Religionen vor. Ünal Kaymakci ist eines der vier muslimischen Mitglieder und Zweiter Vorsitzender. Der 37 Jahre alte Rechtsanwalt vertritt im Rat die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen.

Ünal Kaymakci ist eines der vier muslimischen Mitglieder und Zweiter Vorsitzender. Der 37 Jahre alte Rechtsanwalt Ünal Kaymakci vertritt im Rat die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen.
Ünal Kaymakci ist eines der vier muslimischen Mitglieder und Zweiter Vorsitzender. Der 37 Jahre alte Rechtsanwalt Ünal Kaymakci vertritt im Rat die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen.

Herr Kaymakci, zu welcher Moscheegemeinde gehören Sie?

Zur Hazrat-Fatima-Gemeinde, die derzeit noch in Griesheim ansässig ist. Wir bauen gerade eine Moschee in Hausen, wie Sie sicher wissen, darüber hat es ja eine heftige Debatte gegeben. Die Gemeinde setzt sich aus türkisch- und pakistanisch-stämmigen Muslimen der schiitischen Richtung zusammen.

Es ist ungewöhnlich, dass Türken Schiiten sind, oder?

Ja, die meisten sind Sunniten. Die türkischen Schiiten gehören der Volksgruppe der Aserbaidschaner an. Meine Eltern stammen aus der Stadt, die sich am Fuße des Berges Ararat befindet, also da, wo die Arche Noah gestrandet ist.

Seit wann gibt es Ihre Gemeinde und wie ist das Gemeindeleben?

Wir sind seit 1991 in Form eines Vereins organisiert, die Gemeinde selbst besteht aber schon länger, eigentlich seit der Arbeitsmigration in den 1960er Jahren. Unser Imam stammt aus der Türkei, spricht aber fließend deutsch. Zu unserer Gemeinde gehören etwa 300 Familien aus ganz Frankfurt. Es gibt in der Moschee täglich Gebete, wir haben ja das rituelle Pflichtgebet morgens, mittags, nachmittags, abends und nachts. Das Morgengebet wird bei uns aber nicht in der Moschee verrichtet, bei Sonnenaufgang geht noch niemand in die Moschee.

Wie viele kommen da?

Das ist unterschiedlich. An Wochenenden kommen mehr, etwa 50 Leute, Männer und Frauen. Ansonsten ist es eine kleinere Gruppe, vielleicht ein Dutzend. Die täglichen Pflichtgebete müssen ja nicht in der Moschee verrichtet werden. Beim Freitagsgebet, das unser wöchentlicher Feiertag ist, kommen etwa 100 Menschen. Für die Frauen ist das freiwillig, für Männer aber eine religiöse Pflicht. Doch weil der Freitag mit der Arbeitszeit kollidiert, sind es überwiegend Rentner, Schüler, Studenten und Selbstständige oder auch Arbeitnehmer, die das absprechen konnten.

Und wie machen Sie es?

Ich nehme mir freitags mittags frei. Ich bin ja selbstständiger Rechtsanwalt, da ist das möglich.

Was genau passiert eigentlich bei einem Freitagsgebet?

Es beginnt mit einem Gebetsruf des Muezzins, der bei uns aber nur innerhalb der Moschee ertönt. Dann hält der Imam die Predigt auf einer Art Kanzel, zuerst auf Türkisch und dann noch einmal auf Deutsch. Nach der Predigt gibt es das gemeinsame Gebet: Der Imam betet vorne vor, und die anderen in Reihen hinter ihm. Die Frauen haben einen getrennten Gebetsraum, im Stockwerk über den Männern. Dieses Gebet nimmt cirka zehn Minuten in Anspruch. Danach beglückwünschen wir uns, und man wünscht jedem, dass das Gebet von Gott angenommen wird, die Leute trinken Tee, tauschen sich aus, suchen Rat beim Imam.

Ist die räumliche Trennung von Frauen und Männern nicht etwas antiquiert?

Der Sinn ist, dass man sich während des Gottesdienstes nicht vom anderen Geschlecht ablenken lassen soll. Natürlich hat es auch ein bisschen was mit dem Sittlichkeitsempfinden zu tun. Die Frauen sind aber sehr gerne unter sich, und die Männer auch. Bei uns ist das Gebet ja auch ein körperlicher Akt. Man verbeugt sich und wirft sich nieder. Viele Frauen empfinden es als störend, wenn Männer ihnen dabei zusehen. Dass wir jetzt völlig getrennte Räume haben, gefällt uns aber auch nicht. In der neuen Moschee wird es für die Frauen eine Empore geben.

Gibt es eigentlich weibliche Imaminnen?

Es gibt muslimische Predigerinnen und Theologinnen, die anderen Frauen geistliche Führung geben und für sie auch Vorbeterin sein können. Das Gemeinschaftsgebet mit beiden Geschlechtern wird immer von einem männlichen Imam geführt.

Muss das so bleiben?

Unsere Imame werden ja nicht geweiht wie in der katholischen Kirche. Formal gesehen muss der Vorbeter also nicht mal ein Geistlicher sein. Trotzdem ist es Konsens von konservativen bis liberalen Gemeinden. Sowohl die Frauen als auch die Männer betrachten es als stimmig.

Dürfen Nichtmuslime an den Freitagsgebeten teilnehmen?

Ja, alle, die es interessiert, sind herzlich eingeladen. Zumal die Predigt ja auch auf Deutsch ist.

Gibt es noch andere Gemeindeaktivitäten?

Ja, besonders natürlich zu den Festtagen, beim Opferfest oder im Fastenmonat Ramadan. Da enthalten wir uns von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang jeglicher Nahrungszufuhr, und das Fastenbrechen findet dann jeden Abend in der Moschee statt. Immer bereitet eine Familie das Essen für die ganze Gemeinde vor. Bei uns in der schiitischen Tradition gibt es noch die zehntägige Trauerzeit, in der wir des Martyriums des Prophetenenkels Hussein gedenken. Außerdem gibt es eine Frauengruppe, eine Jugendgruppe, die Kinder haben am Wochenende Religionsunterricht. Wir sind als Gemeinde auch stark im interreligiösen Dialog aktiv.

Wann soll denn die neue Moschee fertig sein?

In eineinhalb Jahren, wenn alles gut klappt. Es soll ein Bistro geben und eine Bibliothek, ein Begegnungszentrum mit einem Mehrzwecksaal für Vorträge, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen – da haben wir uns ein bisschen was von den Kirchen abgeguckt.

Wie finanzieren Sie sich?

Ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge. Die Familien zahlen etwa 20 bis 50 Euro im Monat, für die Höhe gibt es keine festen Regeln. Viele spenden auch zu besonderen Anlässen, vor allem im Ramadan. Für den Moscheebau haben wir einen Kredit aufgenommen.

Wie wurden Sie eigentlich ein religiöser Mensch?

Schon meine Eltern waren in der Moscheegemeinde engagiert. Sie haben uns Kindern die Reli­gion vermittelt, aber wir hatten nie Druck. Letztendlich ist es eine individuelle Entwicklung. Ich habe mich immer sehr von Gott angezogen gefühlt und mich für die großen und entscheidenden Fragen des Lebens interessiert.


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Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social